Ich blicke zu Eileen und sage "Geschafft!". Wir sind zurück in Armenien und können es kaum glauben. Fünf Wochen Iran, voller außergewöhnlicher Erlebnisse, liegen hinter uns. Raus aus den langen Klamotten, ab mit dem Kopftuch, rein in die Shorts und am Kiosk ein überteuertes Bier holen. Wir genießen die zurückgewonnenen Freiheiten, alles machen zu können, worauf wir gerade Lust haben.
Die erste Nacht verbringen wir auf dem Parkplatz von "Hostel Samuel" direkt an der Grenze. Hier hatten wir Katrin und Patrick, die beiden Belgier mit ihrem Defender, abgeholt, als wir gemeinsam durch den Iran wollten. Nun heißt es für uns: Bloß nicht zu viel fahren, bloß nicht zu viele neue Eindrücke sammeln. Wir haben viel zu verarbeiten. Es ist sehr schwer zu beschreiben. Auf Grund der Proteste und Ereignisse im Iran wollten wir am Ende nur noch raus. Nun, ein Tag später, möchten wir am liebsten wieder zurück. Kein anderes Land hat uns bisher so in seinen Bann gezogen, wie der Iran.
Im Hostel werden wir neben unzähligen Kätzchen auch von Kaddi und Jevsej (cycle2nature.com) freundlich empfangen. Die beiden Deutschen sind den ganzen Weg hierher mit dem Fahrrad gefahren. Auch David, ein Engländer, ist mit dem Fahrrad hier. Da wir frisch aus dem Iran kommen, werden wir mit Fragen überhäuft. „Wie verläuft das Grenzprozedere?“ „Wie ist der Wechselkurs?“ „Musste Eileen immer ein Kopftuch tragen?“. Ich muss schmunzeln, vor sechs Wochen saßen wir noch im 3G’s und waren diejenigen, die mit großen Augen diese Fragen gestellt haben. Natürlich verstehen wir uns mit allen sehr gut, sind beeindruckt über die Leistung, lauschen gespannt den Erzählungen, wie es ist mit dem Fahrrad unterwegs zu sein und verbringen eine schöne gemeinsame Zeit.
Nebelschwadenbilder
Doch schon am nächsten Morgen zieht es uns weiter, wieder zurück nach Gori. Wir möchten im berüchtigten 3G’s, einem Campingplatz für Overlander, richtig entspannen. Das Motel fühlt sich nur wie eine kurze Zwischenstation an. Also geht es zurück über die wunderschöne Passstraße. Hier treffen wir immer wieder auf Russische Militärkontrollen, die unseren Reisepass sehen möchten. Leider ist in diesem Gebiet in der Zeit während wir im Iran waren kurzzeitig der Krieg ausgebrochen. Aserbaidschan hatte begonnen, Armenische Stellungen zu beschießen. Es wird vermutet, dass dies nur passieren konnte, da die Schutzmacht von Armenien, Russland, aktuell in der Ukraine beschäftigt ist und einen Großteil der Schutztruppen abgezogen hat. Glücklicherweise halten die Gefechte nur wenige Tage an, dann unterzeichnen beide Seiten eine Waffenruhe, wobei Armenien leider wenige Quadratmeter Landesfläche und Soldaten verloren hat. Der Konflikt zwischen beiden Ländern besteht schon lange Zeiten. Dieser Konflikt zeigte sich vor allem in Berkarabach, einem ungelösten Territoriums Konflikt. Dieser Bereich wurde jedoch vor wenigen Monaten erst von Aserbaidschan besetzt, während ich hier schreibe.
Von der Schönheit der Pass-Strecke bekommen wir diesmal leider nicht viel zu Gesicht, denn nach kurzer Fahrt schieben wir uns immer höher in eine Nebelsuppe, die es wirklich in sich hat. Nur wenige Meter können wir voraussehen. Immer wieder fahren wir dicht hinter LKW‘s her, die wegen der Steigung nur im Schritttempo fahren, ein Überholmanöver ist riskant. Jedes Mal aufs Neue müssen wir abwägen, ob wir uns dem Schneckentempo anpassen, oder doch ein Vorbeiziehen wagen. Was daran so riskant ist, erleben wir dann an eigener Haut. Wir setzten zum Überholen an und sind direkt neben einem LKW, als plötzlich ein großer schwarzer Schatten den Nebel zerreißt. „Achtung!“ rufe ich, doch Eileen tritt bereits die Bremse komplett durch. Das dunkle Monstrum, ein LKW ohne Licht, weicht auf den Schotter aus und zieht Haarscharf an uns vorbei, während sich unsere Kanisterhalter an der Seite in die Plane des LKW’S bohren. „Uffff, das war knapp!“. Am Ende kommen wir mit dem Schrecken davon und der LKW fährt einfach weiter, als wäre nichts passiert.
Einen Halt machen wir dann doch noch vor dem 3G’s. Über Instagram haben wir ein Niederländisches Pärchen kennengelernt, das auch mit ihrem Defender unterwegs ist. Auch wenn ich Instagram oft verfluche, schön ist wirklich, dass man wirklich viele Leute kennen lernt, die momentan in der Nähe mit einem Expeditionsmobil oder Van unterwegs sind. So verbringen wir eine Nacht mit Tine und Jelle (pandathedefender), die mit Jessica und Torsten mit ihrer blauen G-Klasse (ferngeh) unterwegs sind. Wie immer wenn wir auf Overlander stoßen, verstehen wir uns auf Anhieb gut und es gibt eine Menge zu erzählen.
Schlaraffenland für Overlander
Nur wenig später, nachdem wir uns von der netten Truppe verabschiedet haben, erreichen wir unser Ziel: Das Schlaraffenland für Overlander, das 3G’s in Gori. Wer unseren Blog aufmerksam verfolgt, weiß über die Vorzüge Bescheid und auch, dass wir bereits vor dem Iran mehrere Tage hier verbracht haben. Natürlich sind hier inzwischen ganz andere Gesichter zu sehen, doch ein bekanntes strahlt uns freudig an: Sandra, die Gastgeberin. „Willkommen zurück! Ich bin froh euch wieder zu sehen!“. Das sind wir auch! Aber nicht nur von ihr werden wir erwartet, sondern auch von vielen anderen Overlandern, die aktuell hier gestrandet sind. Ihr Plan war es, in den Iran zu fahren. Auf Grund der Proteste sind sich viele inzwischen unsicher und warten sehnsüchtig auf jemanden, der aus dem Iran kommt und sie mit den aktuellsten Informationen versorgt. Nun, das sind wohl wir!
So verbringen wir die Tage mit vielen Gesprächen, neuen und alten Freunden, entspannend am Pool - das Wasser ist inzwischen sehr kalt geworden - und gutem Essen. Natürlich darf auch ein üppiger Pizzaabend nicht fehlen. Gemeinsam mit Flo und Jenny (der_katastrophenschutz_bus) bleiben wir bis in die frühen Morgenstunden wach, trinken, tanzen, feiern Flo’s Geburtstag. Highlight sind aber die gestellten Hochzeitsbilder die Eileen für Marcella und Hugo, zwei Franzosen, die sich unterwegs kennen gelernt haben, für den Iran macht. Alle kommen mit aufs Foto und wir tun so, als wäre die Hochzeit echt. Sandra schüttelt nur den Kopf und meint: „Mit euch wird es nicht langweilig!“
Inzwischen sind auch einige Menschen aus Russland hier. Viele von Ihnen sind geflohen, um einen Einzug in die Armee zu verhindern und standen tagelang an der Grenze. Ihre Geschichten berühren uns. Viele, die zwischen beiden Ländern standen, durften Russland nicht mehr verlassen, da der Einzugsbrief bereits im Briefkasten lag. Diejenigen, die es bis hier geschafft haben, mussten bis zum Ende bangen. Familien und viele Paare in unserem Alter lernen wir kennen. Dascha, eine junge Russin, die ihren Freund hierher begleitet hat, ist Heißluftballon-Pilotin und erzählt uns von einem Heißluftballon-Festival, das in wenigen Tagen in Gori stattfinden soll.
Natürlich lassen wir uns das Spektakel nicht entgehen und so fahren wir in einer kleinen, bunt gemischten Truppe, aus neuen Freunden, zum Startpunkt des Ballons. Sie besteht aus Marcella und Hugo, Ivan mit seinem kleinen Sohn aus Russland und uns beiden natürlich. Dasha ist freudig überrascht, als Sie uns alle von weitem erkennt. Wir bestaunen, wie sich die vielen farbenfrohen Heißluftballons über die atemberaubende raue Landschaft Armeniens erheben und langsam davonschweben. Kurz sind wir wieder in der Magie der schwebenden Punkte gefangen und müssen auch an Kappadokien oder Pamukkale zurückdenken. Einfach magisch.