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Ein Wiedersehen in Armenien

Ich blicke zu Eileen und sage "Geschafft!". Wir sind zurück in Armenien und können es kaum glauben. Fünf Wochen Iran, voller außergewöhnlicher Erlebnisse, liegen hinter uns. Raus aus den langen Klamotten, ab mit dem Kopftuch, rein in die Shorts und am Kiosk ein überteuertes Bier holen. Wir genießen die zurückgewonnenen Freiheiten, alles machen zu können, worauf wir gerade Lust haben.

 

Die erste Nacht verbringen wir auf dem Parkplatz von "Hostel Samuel" direkt an der Grenze. Hier hatten wir Katrin und Patrick, die beiden Belgier mit ihrem Defender, abgeholt, als wir gemeinsam durch den Iran wollten. Nun heißt es für uns: Bloß nicht zu viel fahren, bloß nicht zu viele neue Eindrücke sammeln. Wir haben viel zu verarbeiten. Es ist sehr schwer zu beschreiben. Auf Grund der Proteste und Ereignisse im Iran wollten wir am Ende nur noch raus. Nun, ein Tag später, möchten wir am liebsten wieder zurück. Kein anderes Land hat uns bisher so in seinen Bann gezogen, wie der Iran.

 

Im Hostel werden wir neben unzähligen Kätzchen auch von Kaddi und Jevsej (cycle2nature.com) freundlich empfangen. Die beiden Deutschen sind den ganzen Weg hierher mit dem Fahrrad gefahren. Auch David, ein Engländer, ist mit dem Fahrrad hier. Da wir frisch aus dem Iran kommen, werden wir mit Fragen überhäuft. „Wie verläuft das Grenzprozedere?“ „Wie ist der Wechselkurs?“  „Musste Eileen immer ein Kopftuch tragen?“. Ich muss schmunzeln, vor sechs Wochen saßen wir noch im 3G’s und waren diejenigen, die mit großen Augen diese Fragen gestellt haben. Natürlich verstehen wir uns mit allen sehr gut, sind beeindruckt über die Leistung, lauschen gespannt den Erzählungen, wie es ist mit dem Fahrrad unterwegs zu sein und verbringen eine schöne gemeinsame Zeit.

Nebelschwadenbilder

 

Doch schon am nächsten Morgen zieht es uns weiter, wieder zurück nach Gori. Wir möchten im berüchtigten 3G’s, einem Campingplatz für Overlander, richtig entspannen. Das Motel fühlt sich nur wie eine kurze Zwischenstation an. Also geht es zurück über die wunderschöne Passstraße. Hier treffen wir immer wieder auf Russische Militärkontrollen, die unseren Reisepass sehen möchten. Leider ist in diesem Gebiet in der Zeit während wir im Iran waren kurzzeitig der Krieg ausgebrochen. Aserbaidschan hatte begonnen, Armenische Stellungen zu beschießen. Es wird vermutet, dass dies nur passieren konnte, da die Schutzmacht von Armenien, Russland, aktuell in der Ukraine beschäftigt ist und einen Großteil der Schutztruppen abgezogen hat. Glücklicherweise halten die Gefechte nur wenige Tage an, dann unterzeichnen beide Seiten eine Waffenruhe, wobei Armenien leider wenige Quadratmeter Landesfläche und Soldaten verloren hat. Der Konflikt zwischen beiden Ländern besteht schon lange Zeiten. Dieser Konflikt zeigte sich vor allem in Berkarabach, einem ungelösten Territoriums Konflikt. Dieser Bereich wurde jedoch vor wenigen Monaten erst von Aserbaidschan besetzt, während ich hier schreibe.

 

Von der Schönheit der Pass-Strecke bekommen wir diesmal leider nicht viel zu Gesicht, denn nach kurzer Fahrt schieben wir uns immer höher in eine Nebelsuppe, die es wirklich in sich hat. Nur wenige Meter können wir voraussehen. Immer wieder fahren wir dicht hinter LKW‘s her, die wegen der Steigung nur im Schritttempo fahren, ein Überholmanöver ist riskant. Jedes Mal aufs Neue müssen wir abwägen, ob wir uns dem Schneckentempo anpassen, oder doch ein Vorbeiziehen wagen. Was daran so riskant ist, erleben wir dann an eigener Haut. Wir setzten zum Überholen an und sind direkt neben einem LKW, als plötzlich ein großer schwarzer Schatten den Nebel zerreißt. „Achtung!“ rufe ich, doch Eileen tritt bereits die Bremse komplett durch. Das dunkle Monstrum, ein LKW ohne Licht, weicht auf den Schotter aus und zieht Haarscharf an uns vorbei, während sich unsere Kanisterhalter an der Seite in die Plane des LKW’S bohren. „Uffff, das war knapp!“. Am Ende kommen wir mit dem Schrecken davon und der LKW fährt einfach weiter, als wäre nichts passiert.

Einen Halt machen wir dann doch noch vor dem 3G’s. Über Instagram haben wir ein Niederländisches Pärchen kennengelernt, das auch mit ihrem Defender unterwegs ist. Auch wenn ich Instagram oft verfluche, schön ist wirklich, dass man wirklich viele Leute kennen lernt, die momentan in der Nähe mit einem Expeditionsmobil oder Van unterwegs sind. So verbringen wir eine Nacht mit Tine und Jelle (pandathedefender), die mit Jessica und Torsten mit ihrer blauen G-Klasse (ferngeh) unterwegs sind. Wie immer wenn wir auf Overlander stoßen, verstehen wir uns auf Anhieb gut und es gibt eine Menge zu erzählen.

Schlaraffenland für Overlander

 

Nur wenig später, nachdem wir uns von der netten Truppe verabschiedet haben, erreichen wir unser Ziel: Das Schlaraffenland für Overlander, das 3G’s in Gori. Wer unseren Blog aufmerksam verfolgt, weiß über die Vorzüge Bescheid und auch, dass wir bereits vor dem Iran mehrere Tage hier verbracht haben. Natürlich sind hier inzwischen ganz andere Gesichter zu sehen, doch ein bekanntes strahlt uns freudig an: Sandra, die Gastgeberin. „Willkommen zurück! Ich bin froh euch wieder zu sehen!“. Das sind wir auch! Aber nicht nur von ihr werden wir erwartet, sondern auch von vielen anderen Overlandern, die aktuell hier gestrandet sind. Ihr Plan war es, in den Iran zu fahren. Auf Grund der Proteste sind sich viele inzwischen unsicher und warten sehnsüchtig auf jemanden, der aus dem Iran kommt und sie mit den aktuellsten Informationen versorgt. Nun, das sind wohl wir!

 

So verbringen wir die Tage mit vielen Gesprächen, neuen und alten Freunden, entspannend am Pool - das Wasser ist inzwischen sehr kalt geworden - und gutem Essen. Natürlich darf auch ein üppiger Pizzaabend nicht fehlen. Gemeinsam mit Flo und Jenny (der_katastrophenschutz_bus) bleiben wir bis in die frühen Morgenstunden wach, trinken, tanzen, feiern Flo’s Geburtstag. Highlight sind aber die gestellten Hochzeitsbilder die Eileen für Marcella und Hugo, zwei Franzosen, die sich unterwegs kennen gelernt haben, für den Iran macht. Alle kommen mit aufs Foto und wir tun so, als wäre die Hochzeit echt. Sandra schüttelt nur den Kopf und meint: „Mit euch wird es nicht langweilig!“

Inzwischen sind auch einige Menschen aus Russland hier. Viele von Ihnen sind geflohen, um einen Einzug in die Armee zu verhindern und standen tagelang an der Grenze. Ihre Geschichten berühren uns. Viele, die zwischen beiden Ländern standen, durften Russland nicht mehr verlassen, da der Einzugsbrief bereits im Briefkasten lag. Diejenigen, die es bis hier geschafft haben, mussten bis zum Ende bangen. Familien und viele Paare in unserem Alter lernen wir kennen. Dascha, eine junge Russin, die ihren Freund hierher begleitet hat, ist Heißluftballon-Pilotin und erzählt uns von einem Heißluftballon-Festival, das in wenigen Tagen in Gori stattfinden soll.

 

Natürlich lassen wir uns das Spektakel nicht entgehen und so fahren wir in einer kleinen, bunt gemischten Truppe, aus neuen Freunden, zum Startpunkt des Ballons. Sie besteht aus Marcella und Hugo, Ivan mit seinem kleinen Sohn aus Russland und uns beiden natürlich. Dasha ist freudig überrascht, als Sie uns alle von weitem erkennt. Wir bestaunen, wie sich die vielen farbenfrohen Heißluftballons über die atemberaubende raue Landschaft Armeniens erheben und langsam davonschweben. Kurz sind wir wieder in der Magie der schwebenden Punkte gefangen und müssen auch an Kappadokien oder Pamukkale zurückdenken. Einfach magisch.

Expeditionsteam

 

Zurück im 3G’s planen wir bereits den nächsten Ausflug. Mit zwei Defendern und einem UAZ Buchanka soll es durch das Gebirge von Gegham gehen. Unser Expeditionsteam besteht aus Peter aus Schwerin, dem niederländischen Pärchen Lies und JP  in ihrem geliehenen UAZ Buchanka, sowie Felix und Alicia (fa_auf_reise), die wie wir in einem Defender unterwegs sind. Unser Ziel ist der Berg Azdahak, der eine Höhe von 3597m hat. Über raue Pfade geht es durch die wunderschöne Hochebene immer höher hinauf, bis sie sich auf 3.000m im Schnee verlieren.

 

Ab hier wird zu Fuß weiter gewandert. Dick eingepackt mit langer Unterhose, Schal, Handschuhen und warmer Jacke besteigen wir den Berg. Der Weg hinauf ist nicht wirklich anspruchsvoll, dennoch pfeift hier oben ein eisiger Wind. Hoch auf der Spitze werden wir mit einem einmaligen Blick belohnt. Soweit das Auge reicht, erstreckt sich das schöne Gegham Gebirge und die Oberflächen des etwas tiefergelegenen, dunkelblauen Kratersees vom Azdahak, funkelt spielerisch in der Sonne.

Auf dem Rückweg tauschen wir spontan die Beifahrer und so komme ich in das Vergnügen, im Buchanka mitfahren zu dürfen. Hier im russischen Gefährt ist alles noch rustikaler als im Defender und vor allem auch lauter. Der Motor sitzt zwischen den beiden Vordersitzen im Innenraum. Wir hüpfen über die Bodenwellen und gut durchgeschüttelt erreichen wir schließlich ein großes Geröllfeld.

 

Hier verlassen wir die Fahrzeuge wieder und beginnen zu suchen. Dafür schauen wir uns jeden Stein genau an. „Hier, ich habe welche!“ ruft Felix von weitem. Es scheint so, als wären wir fündig geworden. Auf dem großen Stein sind Petroglyphen aus prähistorischer Zeit eingeschlagen. Diese stammen ungefähr aus dem 5 Jahrhundert vor Christus. Kaum haben wir eine Zeichnung gefunden, stoßen wir auf viele weitere. Ziegen und Jäger, sowie undefinierbare weitere Symbole zeichnen sich auf den rauen Steinen ab. Kaum zu glauben, dass hier an derselben Stelle vor unzähligen Jahren Menschen waren, die Zeichnungen in die Steine geschlagen haben. Ehrfürchtig streiche ich über die Vertiefungen im Stein.

Kurz darauf sitzen wir wieder in den eigenen Autos und es geht weiter hinab. Plötzlich taucht ein alter Verrosteter Bus am Wegesrand auf. Er sieht beinahe aus wie der verlassene Bus aus dem Film ‚Into the Wild‘. Er fasziniert uns so sehr, dass wir einen kurzen Halt einlegen und ihn genauer untersuchen. Über die Seite kann man auf das Dach klettern und den Ausblick genießen. Ich schieße ein schöne paar Fotos, dann geht es zurück zum 3G’s.

Demut

 

Die Tage im 3G’s neigen sich dem Ende zu. Erneut haben wir gut eine Woche hier verbracht. Es fühlt sich beinahe so an, als gäbe es irgendwann einen Punkt zu gehen und wenn man diesen verpassen sollte, bleibt man für immer in dieser Wohlfühloase ‚gefangen‘. Doch wir haben noch einen weiten Weg vor uns und ein paar Orte, die wir noch entdecken möchten. Also packen wir die Drohne ein, die wir hier während unserer Zeit im Iran zurückgelassen haben und drücken alle noch einmal ganz feste. Erneut haben wir viele neue spannende Menschen kennengelernt. Der Abschied fällt lange und herzlich aus. Dann fahren wir vom Stellplatz und sind wieder zurück im Reisealltag.

 

Bis jetzt habe ich es noch nicht geschafft, die Hauptstadt Armeniens, Jerewan, anzuschauen. Während Eileen bereits mit Marcella und Hugo hier war, kenne ich die Stadt nur aus deren Erzählungen. Nun wollen wir das jedoch gemeinsam nachholen. Jerewan ist eine der ältesten Städte der Welt, hat um die 1.100.000 Einwohner und liegt nur gut eine halbe Stunde von Gori entfernt.

 

Unser erster Stopp ist ein Ort, der eher von Traurigkeit geprägt ist. Es handelt sich um das Denkmal des Völkermordes. Bevor ich weiter über den wunderschönen architektonischen Bau berichte, ist es von Nöten, dass wir einen kleinen Abstecher in die Armenische Geschichte einlegen. Das Armenische Volk ist eines der ältesten Christlichen Völker, dessen Wurzeln sich bis tief in die Türkei ausgebreitet haben. In der Türkei gehörten die Armenier neben den Griechen zur christlichen Minderheit. Mit ihrem Glauben gerieten sie immer mehr in einen Konflikt mit den muslimischen Türken. Oft waren Sie Opfer von Masakern. Dies steigerte sich, bis es während dem zweiten Weltkrieg zu einer systematischen Vertreibung und zum Genozid durch die jungtürkische Regierung kam. In den Jahren 1915 – 1916 kamen zwischen 300.000 – 1.500.000 Menschen ums Leben. Auch Deutschland hatte eine tragende Rolle bei den Gräueltaten, denn als Verbündeter der Türken wurden die Taten nicht abgelehnt oder verurteilt.  Es handelt sich um einen der ersten Genozide des 20.Jahrhundert und wird bis heute von der türkischen Regierung trotz unzähliger Dokumente und Fotos nicht anerkannt.

 

In tiefer Demut gehen wir durch die wirklich schön gestalte und sehr informative Ausstellung. Nun können wir verstehen, warum bei vielen Freunden die Türkische Flagge auf dem Auto abgerissen oder bespuckt wurde – auch wenn es nicht ein solches Handeln rechtfertigt. Der Schmerz sitzt tief in dem Land, das sich schon immer beweisen musste, zwischen Konflikten und Vertreibung von der Seite der Türkei, aber auch von Aserbaijan. Die Anlage hier in Jerewan wird von einem Tannengarten beflankt, in dem unzählige Länder einen Baum zur Anerkennung gepflanzt haben. Der deutsche Baum wurde übrigens erst 2018 gesetzt, eine türkische Tanne sucht man hier vergebens.

Ein hoher Turm markiert einen großen anliegenden Platz, auf dem der zentrale Punkt des Denkmals ruht. Ein kreisrund ausgebildeter Raum, den man über wenige Stufen nach unten betritt und der zum Himmel hin geöffnet ist. Hier brennt ein Feuer, das an die Opfer erinnert. Wirklich ein besonderer Raum, der einen schweigend gedenken lässt.

Mutter Armenien

 

Nachdem wir die Anlage besichtigt haben möchten wir Mutter Armenien besuchen. Es handelt sich hierbei um keine echte Person, sondern um ein weiteres Denkmal. Die ‚Mutter‘ thront an einem der höchsten Plätze der Stadt und blickt von hier aus als riesige Statue hinab über ihr Land. Der Ort ist ein beliebter Stellplatz für Overlander und so treffen wir bei unserer Ankunft auf dem nahegelegenen Parkplatz auf eine Vielzahl von Expeditionsmobilen. Eine Gruppe von Mercedes Varios, ein VW-T4 Synchro und ein Defender haben sich hier niedergelassen. Bevor wir aber in zu lange Gespräche verwickelt werden, machen wir uns schnell auf den Weg, vorbei an der Mutter inklusive Militärmuseum über eine pompös gestaltete Treppenanlage hinunter in das Zentrum von Jerewan.

Über das Zentrum gibt es nicht viel Außergewöhnliches zu berichten. Zwar ist die Hauptstadt Armeniens nicht hässlich, aber eben nicht besonders schön. Vor allem im Vergleich zu anderen Hauptstädten, die wir auf unserer Reise erkunden durften fällt auf, dass man hier Highlights länger suchen muss. So beschränken wir unser Highlight auf das Abendessen in einem Restaurant, das typisch Armenische Gerichte anbietet. Ganz so Armenisch essen wir dann doch nicht. Eileen entscheidet sich für Khinkali, die traditionellen Teigtaschen aus Georgien, ich wiederrum gönne mir Pilmeni, Teigtaschen aus Russland, die Tortellini gleichen und mit Schmand gegessen werden. Auch wenn die beiden Gerichte ursprünglich nicht aus Armenien kommen, so werden Sie hier dennoch häufig gegessen.

 

Nach dem leckeren Essen spazieren wir abends wieder die Treppen hinauf, durchqueren einen alten Freizeitpark, der locker aus Sowjetzeiten stammt und dessen Fahrgeschäfte immer noch in Betrieb sind, um dann vor George auf die Anderen zu treffen, die sich beim blauen T4 versammelt haben. Da wir den Großteil der Gruppe noch nicht gesehen haben, stellen wir uns vor und plaudern noch etwas mit der gut angetrunkenen Gruppe. Übrigens gehört der T4 Roxy und Felix (henrylebt), es wird nicht das letzte Mal sein, dass ihr von den beiden lest. Aber auch mit dem anderen Felix, dem der Defender gehört (travelandrover), unterhalte ich mich intensiv, bis wir uns müde verabschieden und uns in unser Zuhause zurückzeihen.

Telefonat ins Jenseits

 

Am nächsten Morgen werden wir früh wach, Frühstücken, verabschieden uns von den anderen und fahren weiter in Richtung Grenze zur Türkei. Ein letzter Stopp wartet jedoch noch auf uns in Armenien und so biegen wir ab und fahren erneut zum Fuße des Aragats, den wir auf dem Hinweg bereits bestiegen haben. Es geht in eine verlassene Region, bis wir auf ein Pförtnerhäuschen treffen. Eine geschlossene Schranke versperrt uns den Weg. Ein gut gebauter Mann blickt aus dem Häuschen. Ich stelle den Motor ab und wir gehen zu ihm hinein. Freundlich fragen wir ob wir die Schranke durchqueren dürfen. Gezielt schnappt sich der Mann ein Taschenrechner und Tippt eine Zahl ein: 8000 Dram, das sind umgerechnet ungefähr 18€. Wir glauben unseren Augen kaum. Ich versuche zu verhandeln, doch der Mann bleibt hart. Also gehen wir zurück zum Auto. Ich sehe es absolut nicht ein, von diesem Mann ausgenommen zu werden. Doch Eileen redet mir ins Gewissen und geht anschließend erneut zu dem Mann. Kurz darauf wird die Schranke geöffnet und wir können passieren.

 

Als wir etwas gefahren sind, erzählt mir Eileen, was sich in dem Häuschen abgespielt hat. Nachdem sie mit unserem retslichen armenischen Geld etwas weniger bezahlt hat, hat ihr der Mann einen Klaps auf den Po gegeben. Ich bin wirklich sehr sauer und möchte am liebsten umkehren, um den Mann zur Rede zu stellen. Doch Eileen versucht mich zu beruhigen. So etwas sollte nicht passiere, lässt sich aber in einer männlich dominierten Gesellschaften wie Armenien nicht immer vermeiden. Sie gibt mir den Rat, dass nicht jeder Kampf gekämpft werden muss. Also konzentrieren wir uns wieder auf das, was wir eigentlich vorhaben. Auch solche Begegnungen gehören aber leider zum Reisealltag.

 

Nach kurzer Fahrt taucht ein großer Gebäudekomplex vor uns auf. Wir halten am Eingang des Hauptgebäudes und gehen auf die Eingangstüre zu. Eine schwere Kette mit Schloss hindert uns daran, die Tür zu öffnen. „Hier kommen wir nicht rein!“ sagt Eileen enttäuscht. Wir versuchen es weiter und gehen um das Gebäude herum. Ein hoher Erdwall bäumt sich hier auf. Stufen führen hinauf. Langsam steige ich nach oben, bis sich vor mir eine riesengroße Schüssel auftut. Wir befinden uns am Orgov Teleskop. Die Anlage wurde 1975 erbaut und diente als Abhörstation der Sowjetunion. Nach dem Fall wurde die Anlage noch bis 2012 weitergenutzt, bis die armenische Regierung für die Reparaturkosten nicht mehr aufkommen konnte. Nun steht die Anlage leer. Ausgenommen für ein paar Tage im Sommer, dann wird hier ein Techno-Festival veranstaltet.

Überreste davon finden wir, als wir endlich einen Weg in das Hauptgebäude finden. Die kleinen Nebenräume sind unterschiedlich dekoriert. Ein Raum im Keller ist voller Sand und mit Metallskulpturen versehen. Das Highlight ist jedoch der Hauptraum. Eine breite Treppe führt direkt auf ein Pult zu, von dem das Teleskop einst gesteuert wurde. Die unzähligen Instrumente, Zeiger und Schalter sind auf Russisch beschriftet. Links und rechts befindet sich jeweils ein weiteres Pult. Das Dreigespann steht direkt hinter einer großen Glasfassade, die mit weißen, transparenten Vorhängen verhängt ist. Ich setzte mich an das Pult und greife intuitiv an das Telefon, das in der Mitte Thront und melde mich in der goldenen Zeit der Anlage, als hier noch gearbeitet wurde.

Bruchpilot

 

Die mystische Aura, die die alte Sowjietanlage ausstrahlt lässt sich kaum beschreiben. Es fühlt sich an, als würde man in einem James-Bond Film mitspielen, oder in dem nächstbesten Endzeit-Computerspiel. Für mich ist das Teleskop der coolste Lost-Place auf der Reise. Wir steigen in einen alten Lkw-Anhänger, der voller technischer Ausstattung ist und eine große Schüssel auf dem Dach hat, bestaunen ein großes Graffiti auf einem weiteren Konstrukt, das aus unzähligen Metallstäben besteht, dann möchte ich gerne noch ein paar Aufnahmen mit meiner Drohne machen.

Welcher Standort wäre hierzu besser geeignet, als die Schüssel des Teleskops? Die gigantische Schüssel hat einen Durchmesser von 54m. In der Mitte befindet sich eine Art Stab, der über drei gerundete Träger gehalten wird. Ich starte die Drohne und fliege ein paarmal über die Anlage. Dann komme ich auf die Idee, von unten aus der Schüssel langsam nach oben zu fliegen. Leider entpuppt sich dieses Vorhaben als eine dumme Idee, denn kurz nachdem ich in die Schüssel fliege bricht die Verbindung ab. Ich sehe wie die Drohne langsam aber sicher in Richtung Außenwand der Schüssel steuert, mit ihr zusammenstößt und in einem gewaltigen Tempo in die Mitte der Schüssel nach unten rutscht.

 

In Gedanken verabschiede ich mich schon von meiner Drohne. Doch Eileen hat eine zündende Idee. Hugo, der Franzose, den wir auf dem 3G’s getroffen haben, war auch hier und hat es geschafft, in die Schüssel zu gelangen. Nach kurzem Telefonat wird die Rettungsmission ‚Drohne‘ in die Tat umgesetzt. Über einen kleinen Spalt quetsche ich mich in die Unterkonstruktion der Schüssel. Zwischen Schüssel und anliegendem Fundament befindet sich circa 2m Abstand, der durch unzählige Reihen von Bewährungseisen und einem kleinem schmalen Pfad durchtrennt wird. Bloß nicht runterschauen, hier geht es 54m nach unten. Nach gut zehn Minuten klettern habe ich es geschafft und komme am Fuß eines Trägers heraus. Von hier aus gelange ich in die Schüssel und kann die Drohne bergen. Mission erfolgreich. Sie haben wieder einmal die Welt gerettet, Mister Bond!

Abschied

 

Kurz vor der Grenze befindet sich ein Seegebiet, das zum Naturschutzgebiet deklariert wurde. Eileen möchte unbedingt hier die letzte Nacht in Armenien verbringen und so ergibt es sich, dass wir kurz vor dem Einbruch der Dunkelheit an einem Verwaltungshäuschen eintreffen, an dem wir Namen, Adresse und Telefonnummer hinterlassen müssen. Den letzten Abend verbringen wir dann ruhig alleine in der Abgeschiedenheit und der schönen Natur Armeniens.

Schon früh morgens werden wir wach und fahren die letzten Meter über einen kleinen Schlenker durch Georgien in die Türkei. Die direkte Grenze ist seit mehreren Jahren wegen der Spannungen geschlossen. Ach Armenien, du hast uns gefallen. Auch wenn du dich im Schatten zwischen Georgien und dem Iran beweisen musst, dein alter Sowjetische Scharm und deine tolle Natur weiß zu überzeugen. Wir kommen dich gerne irgendwann wieder besuchen, bis dahin - mach‘s gut, Gnas barov!

gez. Alex

...hier siehst du unsere gesamte Route.



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