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Bärenstarke Türkei

Eng zusammengedrängt sitzen wir zu fünft vor einem Kamin in einer kleinen Hütte und warten angespannt. Meine klitschnassen Schuhe und Socken stehen direkt vor der heißen Oberfläche eines Kamins und dampfen leicht. Die Hitze, die er ausstrahlt ist kaum auszuhalten. Immer wieder müssen wir die Plätze tauschen. „Sollen wir noch einmal schauen?“ frage ich in die Runde. Aufgeregt stehen wir auf, gehen gebückt durch die niedrige, selbstgebaute Hütte bis zum Eingang und in die Dunkelheit hinaus. Der kreisrunde Tisch vor der Hütte, der eben noch mit Nüssen und Mandarinen gefüllt war, ist jetzt leer. Mit einer starken Taschenlampe leuchten wir in die Nacht. Nichts zu sehen. Mist, schon wieder haben wir ihn verpasst!

 

Frühstückszeit

 

Der Osten der Türkei empfängt uns nicht nur mit kaltem Wetter und rauer Natur, sondern auch mit seiner bunten Tierwelt. Kühe, die sich an Verkehrsschildern kratzen, hungernde Hundemütter mit kleinen Welpen und auch wilde Pelikane. Die Vielseitigkeit der Türkei kennt keine Grenzen und hat uns wieder direkt im Griff.

Wir befinden uns immer noch im Grenzgebiet. Kurz vor der Türkisch-Armenischen Grenze erreichen wir unser erstes Ziel. Ani ist die ehemalige Hauptstadt Armeniens und liegt seit 1920 auf Türkischem Territorium. Sie thront auf einem breiten Plateau. Dicht an der Stadt vorbei fließt in einer Schlucht der Fluss Achurjan/Arpaçay, der auch zeitgleich die Grenze zwischen beiden Ländern markiert. Rundherum finden sich die leeren Weiten der Hochebene wieder. Viel Steppe, Felsen, Berge und Einsamkeit. Wir suchen uns einen Stellplatz unterhalb des Plateaus in einer Schlucht. Umringt von unzähligen verlassenen Höhlenwohnungen in den Felswänden herum, wählen wir unseren Schlafplatz aus. Im Sommer wäre hier alles unter Wasser. Mit Hilfe einer Wasserwage suchen wir die perfekte Stelle, damit George gerade steht. Ein tägliches Ritual.

 

Am nächsten Morgen werden wir früh geweckt. Zuerst bellen Hunde, dann wird gepfiffen. Müde blicke ich aus dem Fenster. Ich sehe einen Bauer, der mit seiner Horde an Schafen, Ziegen und Kühen unterwegs ist. Sein Weg führt ihn jeden Morgen und jeden Abend durch diese Schlucht an uns vorbei. Ich schlüpfe aus dem Auto und er winkt aus der Ferne. Am zweiten Tag setzt er sich ganz nah bei uns auf einen Stein und Frühstückt. Während Eileen noch schläft, winkt er mich zu sich her. Er bietet mir von seinem Tee, Brot und Aufstrich an. Ich liebe solche Begegnungen. Obwohl wir uns nicht verstehen, sitzen wir dort und teilen den Moment. Als Dank hole ich ein paar von unseren Leckereien aus George und überreiche sie ihm. Nach kurzer Zeit verabschiedet er sich wieder und zieht mit seiner Herde von dannen.

Auch wir verdrücken uns nur kurz später aus der Schlucht, um uns das Unesco-Weltkulturerbe oberhalb der Schlucht anzuschauen. Ani gleicht eher einer Ausgrabungsstätte als einer Stadt. Nur noch wenige eindrucksvolle Gebäude sind erhalten. Alte Kirchen, Überreste von hohen Festungsmauern und einzigartigen Palästen. Zwischendrin immer wieder Wachtürme oder Stationen des türkischen Militärs. Lange war die Stadt für Touristen nicht zugänglich. Umso mehr freuen wir uns nun hier zu sein, auch wenn über den wahren, armenischen Ursprung der Stadt natürlich nicht berichtet wird.

Weißer Riese

 

Kurz darauf sitzen wir wieder in George. Immer weiter in Richtung Süden lautet die Devise. Wir fahren über triste Straßenabschnitte, als plötzlich am Straßenrand ein alter, klappriger Ford Transit steht. Entschlossen sage ich zu Eileen: „Die brauchen bestimmt Hilfe!“ und parke direkt hinter dem Auto. Ein alter Mann und seine Frau blicken uns verwundert, aber freundlich an. Google-Übersetzer erweist sich wieder als äußerst nützlich: Tatsächlich, sie benötigen Hilfe. Der Berg ist zu steil für den alten Transit. Mit wenigen Handgriffen sind beide Autos mit unserem Bergungsseil verbunden und wir ziehen den Transit samt Ladung, die unter anderem aus zwei Kühen besteht, den Berg hinauf. George präsentiert sich ausnahmsweise mal von seiner besten Seite. Ein kurzes Abschiedsfoto, dann geht es weiter.

Immer größer wird der Ararat, der höchste Berg der Türkei. Er strahlt eine ungeheure Ruhe aus, die vor allem Eileen in ihren Bann zieht. Immer wieder halte ich an, damit Sie ein Foto mit oder ohne George schießen kann, im Hintergrund erhebt sich immer der weiße Riese. Zu seinen Füßen warten mehrere Sehenswürdigkeiten auf uns. Zum einen ist da der Ishak-Pascha-Palast der Hoch in den Bergen thront und auf die Stadt Doğubayazit hinunterblickt. Leider bleiben an dem Tag, an dem wir ihn besuchen möchten, die imposanten Tore für uns geschlossen, denn es ist ein Nationalfeiertag. Wir begnügen uns also damit, den schönen Palast von außen zu bestaunen, sowie den Ausblick von hier oben zu genießen. Außerdem wartet ja noch ein besonderer Ort auf uns.

1959 schaute der türkische Luftwaffen-Kapitän İlhan Durupinar nicht schlecht, als er auf dem Luftbild vor ihm eine auffällige Formation in der Landschaft sah, die einem Schiffsrumpf ähnelte. War hier am Ararat nach der Übersetzung der Bibel nicht die Arche Noah gestrandet? Schnell verbreitet sich das Gerücht, dass es sich wirklich um das Wrack des Schiffs aller Schiffe handelt. Auch wenn Jahre später Archäologen das Gestein mehrfach untersuchten und herausfanden, dass es sich bei der Formation um eine normale Felsformation handelt, so halten dennoch viele an dem Glauben fest, dies seien die Überreste der Arche. Schon von weitem können wir die Struktur erkennen. Dort, wo die Straße endet, befindet sich ein kleines Häuschen. Ein Mann sitzt darin und empfängt uns. Wir sollen „Eintritt“ bezahlen und eine unverschämte Summe noch dazu. Nachdem wir dankend ablehnen, lässt uns der Mann nicht mehr in Ruhe. Wir dürfen nicht richtig schauen und Fotos sollen wir auch keine machen. Als könnte er über die Natur bestimmen. Genervt ziehen wir uns zurück. Eins muss man Durupinar jedoch lassen, die Formation, die vor uns liegt, sieht wirklich einem Schiffsrumpf ähnlich.

Vulkankrater

 

Nachdem unsere Strecke nun längere Zeit Richtung Süden ging, ändern wir den Kurs und es geht nach kurzer Fahrt wieder nach Westen, zurück ins Landesinnere. Während wir auf den größten See der Türkei zusteuern, klingen die Zeilen des alten deutschen Liedes in meinem Kopf „Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein und dann nischt wie raus nach Wannsee“. Es geht aber nicht zum Wannsee, sondern zum Van-See, Van Gölü auf Türkisch. An die Badehose ist nicht zu denken, denn inzwischen ist es wirklich kalt geworden. Dennoch verbringen wir eine entspannte Zeit direkt am Wasser und lernen ein älteres Pärchen kennen, das dort mit ihrem Mercedes Sprinter steht. Am abendlichen Lagerfeuer tauschen wir uns aus und lassen es uns gut gehen, während wir dem Seerauschen zuhören.

Jetzt wird es aber endlich bärenstark! Am äußersten Südwestufer des Van-Sees befindet sich Nemrut  Daği, ein alter Vulkankrater. Der letzte Ausbruch des Vulkans liegt schon einige Jahre zurück. Im Jahre 1441 soll der letzte große Ausbruch gewesen sein, wobei die letzte Eruption auf 1881 datiert wird. Der Krater ist seitdem mit einem großen Kratersee, sowie einer üppigen Vegetation gefüllt. Der dichte Wald, der sich hier gebildet hat soll auch Bären behausen. Wie die Tiere auf 2948m gekommen sind, ist bis heute ungeklärt. Wir haben jedoch von einigen Begegnungen von Overlandern mit den beeindruckenden, aber auch durchaus gefährlichen Tieren gelesen. Das möchten wir uns genauer anschauen.

 

Ein steiler Weg führt am äußeren Kraterrand nach oben und anschließend hinein in den Krater selbst. Der Blick von oben ist wirklich besonders. Vor allem nun im Herbst, strahlen die Bäume in ihren Rot- und Orangetönen um die Wette. Zwischendrin spiegelt sich das Licht auf der tiefblauen Oberfläche des Kratersees. Als wir hinunter zum Ufer des Sees fahren, kommt uns plötzlich ein sehr bekanntes Auto entgegen. Es ist der blaue T4 Synchro von Roxy und Felix, die wir erst vor ein paar Wochen an der Mutter Armenien in Yerewan getroffen haben. Kurz blicken wir uns gegenseitig etwas verdutzt an, doch dann müssen wir alle lachen. Schnell verabreden wir uns, den Ort gemeinsam zu erkunden und die Nacht hier zu verbringen. Nicht weit soll es eine Hütte geben, an der man scheinbar nachts gut die Bären beobachten kann.

Gesellschaft

 

Die kleine Hütte gehört Favsi, der hier oben bis tief in den Winter lebt. Er begrüßt uns mit einem Tee und stellt uns Kai, Sophie und ihre Tochter Leyla vor, die hier mit ihrem Mercedes Vario stehen. Favsi ist sehr nett und erzählt uns von den Bären. „Wenn ihr wollt, stellt euch gerne hier hin und trefft mich abends in meiner Hütte, die Bären kennen mich gut und ich lege ihnen Abend etwas Futter auf den Tisch vor dem Eingang!“. Die Chance einen Bären in freier Wildbahn zu sehen, wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen und so bleiben wir hier.

 

Zwischen dem Schilfufer des kleinen Sees, an dem die Hütte liegt, soll es auch heiße Quellen geben. Mit Roxy und Felix machen wir uns auf die Suche. Der Boden ist hier sehr matschig und plötzlich stecke ich bis zu den Knien im Matsch. Nur gut, dass wir anschließend die Quelle finden und ich im warmen Wasser meine dreckigen Schuhe auswaschen kann. Felix wagt sich danach sogar ins eiskalte Seewasser. Wir restlichen drei frieren alleine schon vom Zuschauen.

Der Tag schreitet immer weiter voran und nach einem gemeinsamen Abendessen im T4 begeben wir uns zu Favsi in die Hütte. Wir versammeln uns vor dem Ofen und er erzählt uns wilde Geschichten, während ich versuche meine Schuhe zu trocknen. Er berichtet, dass er einst im Winter hier oben eingeschneit war. Weit und breit keine Menschenseele. Er lag den ganzen Tag im Bett direkt vor dem Ofen und tat nichts anderes als Holz nachzulegen. Beinahe wäre er vor Hunger und vor Kälte gestorben – bis glücklicherweise zwei Polizisten mit Skiern hier herauf kamen um ihn zu suchen. Sein Vater hatte die Polizei geschickt. Diesen beiden Ski-Fahrern verdankt er heute sein Leben.

 

Wir lauschen gespannt den Erzählungen und vergessen ganz die Zeit. Plötzlich meint er: „Nun ist es Zeit, lasst uns Obst auslegen!“. Wir gehen ins Dunkle zum runden Tisch vor der Hütte und er verteilt Obst und Nüsse darauf. „Und jetzt heißt es warten!“ wir gehen wieder hinein und erst 20 Minuten später kommen wir wieder nachsehen. Der Tisch ist leer. Kein Bär weit und breit zu sehen. „Ich lege noch etwas aus!“ und das ganze Spiel beginnt von vorne. Ganze drei Mal legen wir Futter aus und ganze drei Mal ist es verschwunden und kein Bär zu sehen.

 

Enttäuscht gehen wir zurück in den T4 um das Kartenspiel Skyjo zu spielen, als Felix meint „Lasst uns noch einmal draußen nachsehen!“. Gesagt, getan. Leise öffnen wir die Türe und gehen mit Taschenlampen bewaffnet nach draußen. „Da!“ flüstert Roxy aufgeregt. Tatsächlich, in der Nähe von George schleicht ein mittelgroßer Bär umher. Kurz reagiert er auf unseren Strahl der Taschenlampe in dem er in unsere Richtung blickt. Doch aus der Ruhe zu bringen scheinen wir ihn nicht. Er tapst um George herum, kommt dann aber auf uns zu. Schnell verkrümeln wir uns wieder ins Auto. Von drinnen beobachten wir, wie er sich wieder abwendet und in Richtung Wald läuft. Felix und Eileen gehen ihm nach, doch er bleibt verschwunden. Begeistert von der Begegnung gehen wir an dem Abend ins Bett. Trotz der Sorge, dass der Bär nachts anklopfen könnte, verläuft die Nacht ruhig.

Blütenmeer

 

Als die Sonne uns weckt, machen wir uns auf  und lassen Favsi, Kai, Sophie und Leyla im Krater zurück. Felix und Roxy aber kommen mit uns. Da wir uns so gut verstanden haben und unsere Wege in die gleiche Richtung führen, entschließen wir ein Stück gemeinsam zu reisen. So geht es für uns vier in Richtung syrische Grenze. Unser Weg führt uns über die Stadt Batman, in der man meiner Meinung nach einmal im Leben gewesen sein muss, nach Mardin. Die Stadt ist bekannt für ihre idyllische Hanglage und den orientalischen Einfluss. Sie liegt nur 20km von der syrischen Grenze entfernt und zieht uns sofort in ihren Bann. Neben den hohen Türmen der Moscheen reihen sich die eindrucksvollen Fassaden der historischen Steinhäuser mit den schönen Fenstern und Steinbögen. Wir schlendern durch die Gassen aus außergewöhnlichen Läden. Hier riecht es nach Seife, dort nach fremdartigen Gewürzen. Auf einem großen Platz steht eine Band und singt orientalisch klingende Lieder. Ein junger Mann mit Down-Syndrom steht daneben und klatscht glücklich im Takt. Diese Stadt wirkt auf uns wie aus einem Märchen entstanden.

Immer weiter nach Westen! Inzwischen befinden wir uns in der Region Sanliurfa. In der Hauptstadt Urfa schauen wir uns eine wunderschöne Moscheeanlage mit mehreren Wasserbecken und Seen voller Fische an. Auch die alten traditionellen Häuser von Harran sind definitiv einen Besuch wert. Das Highlight der Gegend sind für uns aber die unzähligen Baumwollfelder, die sich Kilometerweit zwischen den Städten erstrecken. Momentan blühen die Pflanzen und die Arbeiter sind auf den Feldern unterwegs um die wertvollen Baumwollblüten zu pflücken. Wir fahren durch ein weißes Meer. Oft, wenn ein LKW vor uns fährt „schneit“ es zusätzlich noch. Die Ladeflächen sind so voll mit Baumwollblüten, dass diese mit dem Fahrtwind ununterbrochen herausgeweht werden und sich am Straßenrand niederlassen. Dort warten bereits Menschen mit Tüten und sammeln die Reste auf. Neben der Straße entdecken wir plötzlich riesige Baumwollballen. Wir stellen George als Größenvergleich daneben. Kurz bevor es weiter geht, heben wir uns alle noch eine Baumwollblüte vom Straßenrand als Erinnerung auf, dann geht es weiter durch das Blütenmeer.

Küchenhimmel

 

Unsere Nächte hier im Grenzgebiet verlaufen, obwohl vor dieser Region gewarnt wird, sehr ruhig und die Menschen, auf die wir treffen, sind meist äußerst freundlich. Nur mit einem einzigen Stellplatz haben wir weniger Glück. Kurz vor Harran finden wir über iOverlander einen Stellplatz auf einem kleinen Hügel der nah einer kleinen Siedlung liegt. Hier gibt es sogar Wasser! Auch wenn die Nacht ruhig verläuft, am nächsten Morgen werden wir durch klopfen geweckt. Die ansässigen Kinder machen sich ein Spaß daraus gegen die Autos zu hämmern. Auch wenn wir eigentlich immer gerne auf Kinder treffen, diese sind wirklich anstrengend. Wir bieten ihnen Süßigkeiten an und gierig wollen sie davon nicht genug bekommen. Auch rufen sie ständig ‚Money, Money‘. Als die Kinder uns auch  während des Frühstücks nicht in Ruhe lassen wollen, bleibt uns nichts anderes übrig als zu flüchten, während sie neben uns herrennen,  grob aufs Auto schlagen und schreien. Solche Situationen sind immer sehr schwer. Natürlich können wir das Leid der armen Familien hier verstehen und wir sind sehr dankbar, dass wir so privilegiert sind und mit unseren teuren Autos unterwegs sein können. Dennoch können wir nicht allen helfen und reisen ja schließlich auch mit so wenigen Kosten wie möglich. Wo wir können, versuchen wir die Menschen zu unterstützen, aber es ist auch mal okay genervt von anstrengenden Kindern zu sein.

 

Wie ihr vielleicht schon wisst, liebe ich gutes Essen. Da Gaziantep, unser nächstes Ziel, berühmt für seine Küche ist, übernehme ich kurzerhand die Planung. Meist macht das Eileen. Ich durchforste die ganze Stadt im Internet nach den besten Restaurants und werde nach ausgiebiger Suche fündig. Schon im Voraus rufe ich in einem Restaurant an und reserviere einen Tisch für Roxy, Felix, Eileen und mich. Ich kann es kaum erwarten. Vorher streifen wir aber durch die schöne Altstadt, kaufen uns im Basaar schöne Keramikschälchen und steigen auf die alte Festung, die sich im Zentrum befindet. In nur zwei Monaten wird diese Festung teilweise zerstört sein, denn die Region wird von einem heftigen Erdbeben getroffen. Glücklicherweise wissen wir jetzt noch nichts davon. Ausgehungert, nach so viel Laufen, machen wir uns zum Restaurant. Die Recherche hat sich wirklich gelohnt. Schon am Eingang hängt ein Schild das aussagt: ‚Wenn die Welt ein Haus wäre, so wäre Gaziantep die Küche‘. Die Küche von Gaziantep ist so vielseitig und außergewöhnlich, dass sie sogar von der Unesco dafür ausgezeichnet ist. Wir vertrauen dem Kellner voll und ganz und er bringt uns unzählige Schälchen mit den unterschiedlichsten Leckereien. Wir schlemmen uns durch Fladen, Dips, Salate, Eintöpfe. Mein absolutes Highlight sind Icli-Köfte, frittierte Bällchen mit Lammhackfleisch, umgeben von einem Mantel aus Bulgur. Wir schweben auf Wolke sieben. Umgerechnet kostet uns das Essen 10€ pro Person. Gekrönt wird der Abend nur einen Laden weiter, in dem Baklava verkauft wird. Das beste Baklava der Welt soll aus Gaziantep kommen. Es ist so gut, dass ich ewig in einer Schlange anstehen muss, während draußen vor dem Schaufenster Kinder mit großen Augen ihre Nasen an die Scheibe drücken. Stolz komme ich mit der Tüte aus dem Laden und wir probieren ein Stück. Unsere glücklichen Gesichter sprechen Bände – ja, das Baklava ist hier wirklich außergewöhnlich.

Abgehoben

 

Die letzten gemeinsamen Tage mit Roxy und Felix stehen an. Nach all dem Sightseeing wollen wir noch ein paar ruhige Tage verbringen. Die Syrische Grenze haben wir inzwischen hinter uns gelassen und die Südküste der Türkei erreicht. An einem Strandabschnitt bauen wir unsere Lager für drei Tage auf. Hier zelebrieren wir gemeinsam den Halloweenabend, verbringen die Tage mit schwimmen, Fußballspielen oder einfach nur faulenzen. Irgendwann ist der Moment des Abschieds dann gekommen. Während Roxy und Felix weiter in Richtung Westen fahren, wird es für uns in einigen Tagen nach Zypern gehen. Herzlich verabschieden wir die Beiden, dankbar für die unbeschwerte und schöne gemeinsame Zeit. Wir haben die beiden Chaoten in unser Herz geschlossen und werden sie vermissen.

Bevor wir nach Zypern übersetzten, steht für George noch ein ausführlicher Service an. Da die nächste Werkstatt, die sich mit Defendern auskennt in Kappadokien ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als wieder etwas Landeinwärts zu fahren. Da wir den berühmten Zauber der Heißluftballons von Kappadokien bereits auf der letzten Reise bestaunen konnten, möchte Eileen lieber am Meer bleiben, was ich gut nachvollziehen kann. Nach so langer Zeit gemeinsam, freut man sich auch mal auf eine Zeit für sich selbst. Sie sucht sich eine schöne Unterkunft, während ich mich auf den Weg mache, um George glücklich zu machen.

 

Für viele ist Kappadokien das Highlight ihrer Türkeireise, für mich diesmal eher Mittel zum Zweck. Hakan, der Mechaniker, ist unter Overlandern bekannt wie ein bunter Hund. Ich erreiche seine Werkstatt abends und werde freundlich empfangen. Leider kann er mir heute Abend nicht mehr helfen, aber ich soll morgen früh George vorbeibringen. Diese Gelegenheit möchte ich nutzen, um noch einmal zwischen den Heißluftballons zu erwachen. Bilder von Kappadokien habt ihr bestimmt auch schon einmal gesehen: Eine wunderschöne Naturlandschaft, über die sich unzählige Ballons erheben.

 

Wichtig ist hierfür auch der richtige Stellplatz. Als ich mich auf den Weg zu der Stelle mache, an der wir vor zwei Jahren standen, werde ich enttäuscht. Schwere Balken und Verbotsschilder blockieren den Weg. Scheinbar hat sich in der Zwischenzeit einiges verändert. Ich versuche mein Glück woanders und treffe auf einen mir bereits bekannten orangenen Mercedes-Bus. Jenny und Floh (Der Katastrophenschutzbus), die wir auch schon aus Armenien kennen, sind scheinbar ebenfalls hier. Ich parke mit etwas Abstand und klopfe bei den Beiden an. Überrascht Blicken sie in mein Gesicht und die Verwunderung wandelt sich in ein Lächeln. „Du bist es! Wir dachten schon, es wäre die Polizei!“. Die beiden laden mich auf ein Glas Wein ein, wir quatschen noch etwas, dann ziehe ich mich in George zurück.

 

Früh am nächsten Morgen sind wir bereits wieder auf den Beinen und genießen das Spektakel am Himmel. Ich bleibe, bis alle Heißluftballons wieder gelandet sind. Flo darf noch eine kleine Runde mit George drehen, dann verabschiede ich mich wieder von den Beiden und es geht direkt zu Hakan.

Nachtschicht

 

George wäre nicht George, wenn ich einfach mit einem Service davonkommen würde. Hakan entdeckt weitere Probleme die repariert werden müssen. Zum einen ist das Lenkgetriebe undicht und sollte dringend überholt werden, zum anderen sollten die Achsschenkelgehäuse getauscht werden. Beide Arbeiten erfordern einige Zeit und so verbringe ich insgesamt sechs Tage in der Werkstatt. Während Hakan sich um die besprochenen Probleme kümmert, gehe ich die typischen Roststellen im Innenraum an. In dieser Zeit Lebe ich auf dem Hof der Werkstatt. Hier schlafe ich, koche und lerne zwei Franzosen kennen, die ebenfalls mit ihrem Defender hier stranden. Am Ende der sechs intensiven Tage ist George aber endlich wieder fit und bereit für die Reise nach Zypern.

So schnell wie möglich fahre ich zu Eileen und sammle Sie auf. Sie hat die Zeit in der Nähe von Taşucu verbracht, dem Ort von dem die Fähre nach Zypern fährt. Sie erzählt mir von der schönen Zeit, die sie hier hatte. Die Besitzerin des angemieteten Bungalos ist hier aufgewachsen und hat ihr die Gegend gezeigt. Drei Nächte verbringen wir noch in der Türkei zusammen, waschen unsere Wäsche und bereiten die Überfahrt nach Zypern vor.

 

Schließlich ist es endlich soweit. Viel zu früh sind wir am Hafen. Die Überfahrt soll eigentlich um 23:30 beginnen. Wir planen extra viel Zeit für die Zollabfertigung ein. Als einer der Ersten stehen wir am Hafen. Wir schlagen uns die Zeit tot, doch um 23:30Uhr ist noch keine Fähre in Sicht. Erst um 02:30 darf ich in das geöffnete Maul fahren, während Eileen bereits seit fast einer Stunde im vollkommen überfüllten Passagierraum sitzt und mir einen Platz freihält. Über einen Autoaufzug im Inneren geht es für George eine Etage hinauf. Nach Absprache mit einem Bootsmann dürfen wir die Nacht in George verbringen. „Die hätten mich am liebsten mit ihren Blicken getötet!“, erzählt Eileen, die bis zum Ende meinen Platz verteidigt hat. „Aber ich bin froh, dass wir nun in George schlafen können, im Raum hat es richtig gestunken!“.

Während ich mich etwas später müde im Bett auf die Seite drehe, steigen in meinen Gedanken Bilder von wilden Bären und fliegenden Baumwollblüten empor. Es erstaunt mich immer wieder, wie vielseitig die Türkei ist und ich empfinde Dankbarkeit darüber, wie viel wir hier bereits sehen und erleben durften. Hoffen wir, dass Zypern uns auch so überraschen kann.

gez. Alex

...hier siehst du unsere gesamte Route.



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