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Von Kapadokien zurück in die Heimat

Wir genießen die Zeit in Kappadokien und verbringen erholsame und spannende Tage dort. Ein Thema findet sich jedoch immer mehr in den Gesprächen mit anderen Overlandern wieder: Corona. Die Pandemie hat Europa erreicht und es zeigen sich immer mehr Auswirkungen. In der Türkei merkt man davon noch nichts. Offiziell soll es hier noch keine Infizierten geben. Jedoch häufen sich die Probleme auf der geplanten Route: Die Situation im Iran spitzt sich weiter zu und wer aktuell einreist, kann nicht mehr ausreisen. Wir unterhalten uns deswegen über alternative Routen, Pläne wie es weiter geht. Ein Heimkehren ist noch kein Thema. Viele überlegen, wie wir es vorhaben, die Fähre von Azerbaijan nach Kasachstan über das Kaspische Meer zu nehmen, doch auch hier soll eine Quarantäne winken. Wir wollen noch nicht zu viele Gedanken darüber verschwenden und widmen uns vorerst unserem nächsten Ziel Georgien.  

 

Schnell soll es jetzt an die Grenze gehen. Auf dem Weg haben wir uns nur noch ein Ziel ausgesucht: Das Kloster Sumela. Je weiter wir in den Osten kommen, desto geringer wird die Einwohnerdichte. Wir fahren durch vielseitige Landschaft und die Höhenmeter nehmen stetig zu. Als es dämmert, entscheiden wir uns einen der wenigen Schlafplätze anzusteuern, die wir in der App iOverlander finden können. Sie liegt an einem kleinen See und zunächst verläuft alles wie immer. Wir kochen, lassen uns das Essen schmecken, kleben anschließend die Thermomatten an die Scheiben und unterhalten uns noch etwas im Bett.

Plötzlich klopft es jedoch an der Scheibe: ‚Jandarma! Jandarma!‘ Schnell öffne ich die Hecktüre und drei junge Männer schauen uns an. Sie haben weder Uniformen an noch ist ein Polizeiauto zu sehen. Verunsichert fragen wir auf Englisch, was denn los sei. Die jungen Männer reden auf Türkisch miteinander, diskutieren und lachen ab und an. Zuerst denken wir es handelt sich um einen Scherz. Doch dann sehen wir, dass einer der Drei ein Walkie Talkie besitzt und mit irgendeiner Zentrale Rücksprache hält. Da sie nicht gut Englisch sprechen, wird kurzerhand das Handy gezückt und wir werden per Computerstimme gefragt, was wir hier suchen. Wir sagen, dass wir auf der Durchreise sind und für eine Nacht am See schlafen wollen. Als wir den nächsten Text hören, sind wir überrascht: Wir sollen aufpassen, denn die Gegend sei nicht sicher. Unsere Frage, warum dem so sei, führt erneut zu einer für uns unverständlichen längeren Diskussion auf Türkisch. Scheinbar wollen uns die Männer irgendwas mitteilen, wissen aber nicht, wie sie es sagen sollen. Das Handy verkündet, dass hier manchmal terroristische Aktionen stattfinden sollen. Damit haben wir nicht gerechnet. Allerdings wirkt es eher so, als wissen sie nicht genau, wie sie uns klar machen sollen, dass wir hier aus anderen Gründen nicht schlafen sollen. Da dieser Platz in der App gut bewertet ist und es weit und breit keinen anderen Schlafplatz gibt, fragen wir, ob es trotzdem okay wäre zu bleiben. Ein kurzer Blick, ein Nicken und der Apell die Nummer der Jandarma zu wählen, falls doch etwas los sein sollte und wir sind wieder alleine.

 

Auch wenn wir die Aussage mit dem Terrorismus nicht so ernst nehmen, ein mulmiges Gefühl bleibt doch. Dieses wird noch verschärft, als nach kurzem ein anderes Auto auftaucht. Es hält relativ nahe bei uns und die Türen werden geöffnet, einige Männer unterhalten sich und man erkennt das Glühen einer Zigarette in unmittelbarer Nähe. Ab und an wird George angeleuchtet, doch es passiert nichts. Gerade als wir uns wieder etwas entspannen klopft es erneut an der Scheibe. Diesmal öffne ich das Seitenfenster nur einen Spalt und erkenne wieder eine Gruppe junger Männer. Diese scheinen jedoch sichtlich angetrunken zu sein. Freudig werden wir nach einem Feuer gefragt. Da wir endlich Ruhe wollen, komme ich der Bitte nach. Kurz darauf verschwindet das Auto wieder und wir atmen durch. Keine 20 Minuten später hören wir wieder Motorengeräusche und kurz darauf klopft es wieder. Das kann doch nicht wahr sein! Es sind wieder dieselben Männer. Uns wird Bier durch das Fenster gereicht und wir werden aufgefordert ans selbstgemachte Feuer zu kommen. Erst winken wir ab, doch dann denke ich nochmal nach. Machen wir diese Reise eigentlich nicht genau deswegen? Fremde Kulturen kennenlernen? Also ziehen wir uns an und stoßen doch zu den Vier ans Lagerfeuer. Was für eine gute Entscheidung. Per Google-Übersetzter unterhalten wir uns, trinken Bier, haben Spaß mit Isaac, Serkan, Sahin und Mehmet. Nette ‚Terroristen‘ gibt es hier!

Am Nächsten Morgen verabreden wir uns noch zum gemeinsamen Frühstück und unterhalten uns nochmal nüchtern mit den vier Jungs. Es ist wirklich spannend über das Leben der Jungs hier zu erfahren. Sie erzählen uns, dass das Leben für die vier hier relativ perspektivlos ist, obwohl sie studiert haben. Der Großteil der Studienabgänger ist erstmal arbeitslos. Auch sind sie erstaunt, dass das Thema Religion keine große Rolle in unserem Leben spielt. Bevor es dann für uns weiter geht werden wir freundlich Verabschiedet mit einer erneuten Einladung falls wir mal wieder in der Türkei sein sollten.

 

Das Kloster Sumela entpuppt sich als ein Reinfall. Leider wird es gerade renoviert. Am Eingang werden wir schon gewarnt. Dennoch zahlen wir den vollen Eintrittspreis, stellen George ab und müssen dann den Rest der Strecke mit einem Minibus fahren, da auch die Straße umgebaut wird. Dafür verlangen die Busfahrer eine Extragage. Wirklich schade, was Tourismus aus solchen Orten macht. Überall wird versucht, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der Fußweg zum Kloster ist hingegen wirklich schön, denn durch den Regen hat sich Nebel gebildet und umschließt den Berg. Am Kloster angekommen, erkennen wir die Ausmaße der Renovierungsarbeiten: Man kann nur auf eine Terrasse klettern. Der Weg nach unten zu den Gebäuden ist gesperrt. Somit kann man das Kloster nur von außen betrachten. Wirklich Schade, denn das Kloster sieht sehr schön aus und besitzt eine berühmte Höhlenkirche, die Maria Magdalena gewidmet ist. Ein Geistlicher soll einst eine Erscheinung von ihr gehabt haben, die ihn genau zu diesem Ort geführt haben soll. Leider bekommen wir davon nichts zu sehen. Enttäuscht machen wir uns wieder auf den Weg zu George.

Inzwischen haben wir auch schlechte Nachrichten von den Hamburgern mit ihrer G-Klasse bekommen. Die Beiden wurden an der Georgischen Grenze abgewiesen. Eine Einreise ist ab sofort nur noch mit 14-tägiger Quarantäne in einem Krankenhaus möglich. Kurzerhand sind die beiden umgedreht und sind in Richtung Bulgarien unterwegs. Für uns erscheint deren Reaktion zu drastisch und wir wollen trotzdem nach Trabzon, eine Küstenstadt nahe der Grenze und dort erstmal überlegen wie es nun für uns weiter gehen soll. Noch sehen wir keinen Grund umzukehren und wir wollen es auch nicht – zu lange saßen wir in Griechenland fest und konnten nicht weiterreisen. Wir möchten unterwegs bleiben und überlegen, ob wir uns einen Volunteer-Job in der Türkei suchen und so lange ausharren, bis die Grenze nach Georgien wieder normal geöffnet ist. Neben der Bulgarischen Grenze ist auch noch die Griechische Grenze geöffnet, wir wägen uns noch in der Sicherheit im Notfall in die EU zurückkehren zu können.

 

Doch schon am nächsten Morgen schlägt die Stimmung schlagartig um. Eigentlich sind zwei Ereignisse dafür verantwortlich. Zum einen rät Heiko Maas dringend davon ab Auslandsreisen zu tätigen, da eine Rückkehr nicht mehr gewährleistet werden kann und zum anderen ist uns  eingefallen, dass George ja nur ein Visum von 30 Tagen in der Türkei hat. Eine Überschreitung dieser Frist hat angeblich die Folge, dass man eine Strafe zahlen muss, die den Fahrzeugwert um einiges übersteigt. Für uns natürlich undenkbar. Kurz darauf lesen wir auch noch in den deutschen Nachrichten, dass die EU überlegt alle Grenzen zu schließen. Langsam macht sich bei uns Panik breit. Wir müssen raus aus der Türkei und zwar schnell!

 

Unser erster Plan ist wieder nach Griechenland, denn dort haben wir noch Familie und können im Ferienhaus die Situation überdauern. So unsere romantische Vorstellung. Bis nach Griechenland sind es allerdings noch gut 1200km. Ohne zu zögern starten wir George, kehren unserer geplanten Route den Rücken zu und fahren wieder zurück Richtung Westen. Es erfolgt der emotionalste Teil unserer Reise. Die ganze Anspannung bricht plötzlich aus uns heraus. Wir haben so gekämpft, von Anfang an, haben so viel durchgemacht, nicht aufgegeben, um unseren Traum zu verwirklichen und jetzt kehren wir um? Doch wir wissen auch, dass es die einzig vernünftige Entscheidung ist und deswegen fahren wir den ganzen Tag bis spät in die Nacht hinein. Ich bin wirklich froh, dass wir George an unserer Seite haben, er lässt uns nicht im Stich. Er schiebt sich auf der Autobahn durch Gebirge, Schnee, Regen und macht keine Anstalten anzuhalten.

Als wir 4 Stunden vor der Griechischen Grenze sind, kommt die nächste Hiobsbotschaft: Ab nun darf man in Griechenland nur noch einreisen, wenn man sich in eine zweiwöchige häusliche Quarantäne begibt. Das kann doch wirklich nicht wahr sein wieder! Jetzt haben wir auch noch  den Druck, dass wir uns total übermüdet innerhalb kürzester Zeit entscheiden müssen, ob wir wie geplant nach Griechenland fahren, eine Quarantäne im Ferienhaus in Kauf nehmen, oder an der Autobahnkreuzung in einer Stunde die andere Abfahrt nehmen und doch nach Bulgarien fahren, George am Flughafen stehen lassen und per Flugzeug nach Deutschland zurückfliegen. Nach einigen Telefonaten mit der Familie entschließen wir uns dann: Wir machen es den Hamburgern gleich. Uns ist die Situation in Griechenland einfach viel zu unsicher. Klar wäre es schön auf dem Ferienhaus zu sein, aber wer sagt uns, dass die Fähren überhaupt noch fahren? Wer sagt uns, dass die Versorgung auf der kleinen Insel aufrecht erhalten bleibt? Und was ist wenn in zwei Wochen kein Flug mehr nach Hause geht? Wir sind uns sicher: Bulgarien ist die bessere Entscheidung. Und so fahren wir beim Autobahnkreuz ab und sind nach 3 Stunden an der Bulgarischen Grenze. Hier läuft alles problemlos ab. Unsere Temperatur wird nicht einmal überprüft. Wir sind wieder in der EU! Ein riesen Stein fällt uns vom Herzen. Wir fahren noch bis kurz vor Sofia, doch dann können wir nicht mehr. Nach 18 Stunden Fahrt und 1500km fallen wir ins Bett und sind direkt weg.

 

Am nächsten Morgen buchen wir als erstes den Rückflug – einen der letzten aus Bulgarien, wie sich später herausstellen wird. Wir waschen George noch einmal richtig und fahren dann direkt zum Dauerparkplatz, der nahe am Flughafen liegt. Als wir den Parkplatz sehen, sind wir sehr glücklich über unsere Entscheidung. Er ist umzäunt, ist überdacht und wird 24 Stunden am Tag bewacht. Die Mitarbeiter sind sehr nett und erlauben uns die Nacht in George zu verbringen. Bevor wir jedoch schlafen gehen, packen wir unsere Sachen und bereiten George so gut wir können für unsere Abwesenheit vor. Die Wasserkanister werden geleert, Die Lebensmittel aus der Kühlbox geräumt und wir lassen sie geöffnet, damit sie nicht schimmelt. Um 4 Uhr werden wir dann vom Wecker wach, schnappen unsere Sachen, schließen George ab und drücken ihn nochmal sehr fest. Er wird uns unglaublich fehlen, bis wir ihn wiedersehen!

Per Shuttleservice geht es zum Flughafen. Hier merkt man die Auswirkungen von Corona. Mit Mundschutz versehenes Personal überprüft stichprobenartig die Temperatur am Eingang der Passagiere. Das Terminal darf nur einzeln betreten werden. Unser Flug läuft ohne Probleme ab und wir landen 4 Stunden später wieder in Deutschland. Wir sind wieder zurück, kaum zu glauben!

Zu unserer Überraschung gibt es hier keine Kontrollen. Bis auf die teilweise geschlossenen Geschäfte merkt man nichts von der ganzen Krise. Per Mietwagen fahren wir zurück nach Hause und nach 147 Tagen, 9440 gefahrenen Kilometern und 7 bereisten Ländern erreichen wir wieder den Ausgangspunkt unserer Reise. Der Kreis schließt sich ungewollt und doch sind wir froh darüber, jetzt wieder hier zu sein. Ab 0 Uhr wird auch die Bulgarische Grenze geschlossen. Wir haben es gerade so geschafft!

gez. Alex