30km hinter Alexandroupolis befindet sich die türkische Grenze. Unsere erste „richtige“ Grenze, denn wir verlassen mit Griechenland ebenfalls die Europäische Union. Zudem sollen sich laut den Nachrichten tausende Flüchtlinge im Grenzgebiet aufhalten, denn die Türkei hat ihre Seite der Grenze vor wenigen Tagen geöffnet. Angespannt und sichtlich nervös fahren wir langsam neben den LKWs vorbei zu den griechischen Wachposten. Eine Frau und ein Mann kommen uns entgegen. Verägert rufen sie uns zu: „Don’t think they let you.“ Wir sind irritiert. Hat Griechenland nun die Grenze zur Türkei geschlossen? Wir erreichen den ersten Wachposten. „Passports, please.“ Wir reichen die Pässe, ein kurzer Check und wir dürfen weiter. Das war einfach. Wir folgen der Straße und überqueren den Fluss Mariza, der die Grenze physisch zwischen der Türkei und Griechenland markiert. Eine Gruppe aus bewaffneten Soldaten mit Hunden steht am Ende der Brücke, winkt uns jedoch durch. Am ersten Grenzposten der Türkei werden abermals unsere Pässe verlangt. „Where do you want to go? Why do you want to travel?” Ich beantworte die Fragen. Dennoch fragt der Beamte nochmals nach, mit dem Zusatz: Corona. „We’re not scared,“ ist meine Antwort. Wir dürfen weiter. Der zweite Grenzposten der Türkei nimmt unsere weiteren Dokumente wie die Versichertenkarte des Autos (Greencard) und den Fahrzeugschein entgegen. Ein flüchtiger Blick ins Auto und wir dürfen in die Türkei einreisen. Tatsächlich sehen wir auf der türkischen Seite vereinzelt Flüchtlinge. Das Bild, dass die Medien beschriebe haben, finden wir jedoch nicht vor. Alles ist ruhig und sicher. Die Sorgen waren zum Glück umsonst und langsam lässt die Anspannung nach. Wir realisieren langsam, dass wir es geschafft haben. Wir sind endlich in der Türkei!
Weiter geht‘s mit George in Richtung Istanbul. An der zweiten Shell-Tankstelle holen wir uns die Mautplakette HGS, kleben sie unter die Österreichische an unsere Windschutzscheibe und laden sie mit 50TL (7,50€) auf. Geplant ist für eine Fahrt entlang der Westküste bis Pamukkale. Die Fahrt geht zügig vorüber und wir erreichen den Otopark am goldenen Horn von Istanbul in der Dunkelheit. Im Voraus haben wir nach einem Parkplatz gesucht, der umzäunt, 24h bewacht und somit der perfekte Ort ist, um George in der Millionenstadt stehen zu lassen. Für 3 Tage werden wir nur 90TL (13,50€) zahlen. Der Platz ist umsäumt von Moscheen, Restaurants, Geschäften und Wohnhäusern auf der einen Seite und dem Flussufer auf der anderen Seite. Wir können es kaum erwarten und schlüpfen schnell in unsere Jacken und gehen auf eine Brücke zu. Von hier oben können wir die beleuchteten Kuppeln der Moscheen sehen, den Bosporus erahnen und bekommen einen ersten Eindruck von Istanbul. Zeitgleich beginnt von den Minaretten der Muezzin zu erklingen. Ein beeindruckendes Erlebnis. Durcheinander schallt es aus allen Richtungen. Wir sind endlich auf der Seidenstraße angekommen.
Der erste Tag in Istanbul verlangt unseren Füßen einiges ab. Mit Reiseführer, Wasserflaschen und Kamera im Gepäck erkunden wir die Stadt. Das erste Ziel ist die Süleymaniye-Moschee mit Garten und Grabstätte. Das erste Mal bedecke ich mein Haar mit einem Schal. Es fühlt sich ungewohnt und überraschend festlich an. Wir betreten die Moschee mit unseren Schuhen in der Hand und laufen in Socken über den weichen Teppich. Mehrere kleine Kuppeln umringen eine große, den Raum überspannende zentrale Kuppel. Tief abgehängte Kronleuchter beleuchten den weitläufigen Raum. Neben dem großangelegten Gelände der Moschee befindet sich das Grab des Hofarchitekten des Sultans Mimar Sinan. Er hat es zu Lebzeiten selbst entworfen und positioniert sich schlicht und bescheiden am Ende zweier Straßen. Diese kleine Oase der Stille inmitten der verwinkelten bunten Häuser Istanbuls distanziert sich einerseits von der prachtvollen Süleymaniye-Moschee offenbart dem Beobachter jedoch ebenso andererseits die Zugehörigkeit zur Obrigkeit durch seinen Standort in nächster Nähe.
Nächster Halt unserer Entdeckungsreise ist der Große Basar. Nach einem kurzen Security-Check dürfen wir hinein in das Labyrinth aus Gewürzen, Teppichen, Kleidung, Süßigkeiten und vielem mehr. Schnell werden wir angesprochen, eingeladen, es wird gefeilscht und sich unterhalten. Nach einem erfrischenden Chai und mit einem gemalten Bild als Andenken in der Hand verlassen wir zufrieden den Basar.
Über den ehemaligen Hippodrom mit Obelisk erreichen wir wenig später die Sultan-Ahmed-Moschee (blaue Mosche) mit ihren sechs Minaretten. Lediglich die Prophetenmoschee in Medina mit zehn und die Hauptmoschee in Mekka mit neun Minaretten haben mehr Minarette als die Sultan-Ahmed-Moschee. Leider wird im Inneren die zentrale Kuppel renoviert, weswegen wir die eigentliche Schönheit und die vielen blauen Fliesen, die namensgebend für diese Moschee sind, kaum zu sehen bekommen. In der gleichen Achse befindet sich die Hagia Sophia. Für einen kurzen Moment setzten wir uns auf die zahllosen Bänke auf dem Platz zwischen diesen zwei Moscheen. Wie mag es früher hier ausgesehen haben? Wie muss das Leben zur Zeit des Sultans abgelaufen sein? Diese zwei Gebäude haben all die Zeit überdauert.
Um die Hagia Sophia zu besichtigen, ist ein stolzer Preis von 14€ pro Person zu zahlen, da die ehemalige byzantinische Kirche nun ein Museum ist. Es heißt, dass die Kuppel der Hagia Sophia mit ursprünglich 33 Metern Spannweite bis zum heutigen Tage die größte über nur vier Tragepunkten errichtete Ziegel-Kuppel der Architekturgeschichte bleibt und gilt mit der gigantischen Umsetzung und ihrer besonderen Harmonie und Proportionen als eines der bedeutendsten Gebäude aller Zeiten. Uns fällt beim Besichtigen auf, dass sie durch den verbauten Stein deutlich älter und massiver wirkt, sogar einzelne Heiligenbilder mit Jesus und der Jungfrau Maria sind noch zu finden. Leider wird auch hier restauriert, sodass ein Gerüst uns teilweise die Sicht versperrt. Dennoch beeindruckt uns die Haghia Sophia von den drei Moscheen, die wir besichtigt haben, am stärksten.
Unser nächstes Ziel ist die unterirdische Cisterna Basilika. Im Halbdunkeln folgen wir den Treppen nach unten und laufen durch die ehemalige Zisterne, die früher bis zu 80.000 Kubikmetern Wasser speichern konnte und den Palast versorgte. Dieser war bis 1856 der Wohn- und Regierungssitz der Sultane sowie das Verwaltungszentrum des Osmanischen Reiches. Heute kann er zusammen mit dem Harem besichtigt werden. Ein Tipp von uns: Kommt früh und nicht dienstags. Wir machen direkt beides falsch. Nach Verlassen der Zisterne folgen wir den Schildern zum Palast, bis es schließlich heißt: Der Palast ist regulär dienstags geschlossen. Also gehen wir nochmals am Mittwoch hin. Um jedoch den Harem zu besichtigen, muss ein Ticket für den Palast gekauft werden. Wir sehen uns daraufhin erst diesen an und gehen dann zum Harem. Das Palastgelände ist riesig und erstreckt sich über drei aufeinanderfolgende Höfe. Wir besichtigen die Kuppelgebäude der Küchen, überblicken den Bosporus von der Sultanterrasse aus und sehen uns die besonderen Stücke der Schatzkammer an. Ausgestellt sind Überreste des Propheten Mohammeds, der angebliche Stab Moses und andere Reliquien. Als wir den Harem erreichen, ist dieser bereits geschlossen.
Der Grund, weshalb wir erst nachmittags den Palast besuchten, ist ein sehr angenehmer. In Athen gab es bereits die Möglichkeit dazu, jedoch wollten wir bis Istanbul damit warten. In vielen Städten des ehemaligen Osmanischen Reiches gibt es Einrichtungen wie diese, doch in Istanbul sollen die schönsten sein. Traditionell dienen diese Gebäude der Verrichtung der Gesamtwaschung ‚Ghusl‘. Heutzutage können sie zu jeder Zeit und von Jedem genutzt werden. Jedoch ist ein traditionelles Hamam auch heute noch in einen Männer- und Frauenbereich getrennt. Das ÇEMBERLİTAŞ HAMAMI ist seit 1584 in Benutzung und zeigt sich uns in seiner damaligen Eleganz. Wir haben uns für eine traditionelle Anwendung entschieden und müssen uns bereits im Eingangsbereich voneinander verabschieden. Ich betrete erwartungsvoll den Bereich der Frauen und werden mit einem Slip, einem Sarong (Tuch) und einem Luffa-Handschuh zu den Umkleide im oberen Bereich geschickt. Nur mit Slip und Sarong bekleidet betreten ich den kreisförmigen ‚Heißen Raum‘. Entlang der Wand befinden sich mehrere Waschbecken aus Marmor. Unter der Kuppel befindet sich eine erhöhte vielflächige Marmorplatte. Von hier strömt die Wärme in den Raum. Kleine Glaslaternen in der Kuppel spenden etwas Licht. Bevor ich mich zum Schwitzen auf den Marmor lege, wasche ich mich an einer der Waschbecken. Zum Glück ist noch eine andere Frau im ‚Heißen Raum‘, sodass ich mir die Vorgehensweise abgucken kann. Ich nehme neben dem Marmorbecken Platz und begieße mich mehrmals mittels einer Metallschüssel mit warmen Wasser aus dem Becken. Nass und erwärmt breite ich den Sarong auf der Marmorplatte aus und lege mich hin. Jetzt wird geschwitzt.
Nach gewisser Zeit kommt meine Baderin zu mir. Ich soll mich auf die Kante setzten. Mit viel heißem Wasser begießt sie mich wieder und schruppt meinen ganzen Körper mit dem Luffa-Handschuh. Ich bin überrascht, wie viel alte Haut dadurch entfernt wird. Freundlich spricht sie mich mit ‚Baby‘ an und bittet mich, mich hinzulegen. In einer Schüssel mit heißem Wasser und viel Seife taucht sie ein Tuch ein, zeiht es heraus, bläst hinein und erzeugt Unmengen an Schaum, den sie auf meinem Körper verteilt. Nach Massage und wiederholender Behandlung mit dem Handschuh werde ich erneut gewaschen. Wir gehen zu den Waschbecken und ich setzte mich. Nun sind meine Haare an der Reihe. Mit viel Shampoo wäscht sie meine Haare. Es ist ein ungewohntes Gefühl und nicht mit einem Friseurbesuch vergleichbar. Das Waschen über eine Schale besitzt etwas Wuchtiges, Überraschendes aber auch Entspannendes, da das heiße Wasser dich unvorbereitet trifft. Danach darf ich mich nochmals auf dem Marmor entspannen. ‚Relax, Baby‘.
Im Eingangsbereich erzählt mir Alex von seiner Erfahrung. Die Anwendung ist ähnlich verlaufen, auch der ‚Heiße Raum‘ ähnelt dem Meinen, jedoch hat sein Bader ‚Arif‘ während der Anwendung türkisch gesungen. Die Akustik war erstaunlich.
Bevor wir am nächsten Tag weiterreisen, wollen wir uns den Sonnenuntergang vom Bosporus aus ansehen. Von Eminönü aus fährt halbstündlich eine Fähre nach Kadiköy, eine Stadt auf der asiatischen Seite von Istanbul. 1€ kostet eine Fahrt. Während wir das Goldene Horn verlassen sinkt die Sonne hinter die Minaretten, Möwen begleiten unser Schiff, der Muezzin ertönt. Wiedermal zeigt sich uns Istanbul von seiner schönsten Seite.
Von Kadiköy fahren wir zurück, jedoch nicht nach Eminönü, wo George auf uns wartet, sondern nach Karaköy zum Galataturm. Vom Hafen aus fährt einer der ältesten Standseilbahnen Europas unterirdisch den Berg hinauf. Leider ist der Turm bereits geschlossen, als wir ihn erreichen. Um den Turm herum haben sich über die Zeit viele Touristenläden, Restaurants, Bars und Hotels angesiedelt. Eine dieser Bars, das Nardis, bietet Jazz Livemusik an. Mit Wein, Nüsschen und wirklich guter Musik lassen wir den letzten Abend in Istanbul ausklingen.
gez. Eileen